Jetzt noch einmal meine Gedanken und Anmerkungen zum Beitrag, nachdem ich ihn auch wirklich gelesen habe.
Wir starten mit:
Diese Inanspruchnahme realer Ressourcen geht zulasten anderer Wirtschaftssektoren. Das bedeutet, dass es auf mittlere Sicht einen Preisbereich für Bitcoin geben muss, den die Kryptowährung nicht nachhaltig überschreiten wird, also eine Preisobergrenze.
Hier ist die Idee gut, aber praktisch liegt er meiner Meinung nach falsch. Problem ist vor allem das „auf mittlere Sicht“.
Der erste Satz stimmt natürlich. Alles konkurriert um Ressourcen, so auch Energie. Wird mehr Energie für Bitcoin aufgewandt, so ‚fehlt‘ diese an anderer Stelle bzw. wird teurer (/unrentabel). Wenn aber Bitcoin das rentabelste Gut ist, dann kann es dies bei nachhaltigen Preisanstiegen - trotz steigender Strompreise - weiterhin sein. Das ist sogar alles andere als unwahrscheinlich. Ein steigender Preis macht Mining eben deutlich attraktiver und auch teurer Strom ist unter Umständen wirtschaftlich.
Die Förderung von Bitcoin erfordert hauptsächlich zwei Ressourcen: Strom und Halbleiter. Da diese auch in zahllosen anderen Sektoren Verwendung finden, muss es eine Obergrenze für den Bitcoin-Preis geben.
Gleiches Problem. Es muss zunächst keine Obergrenze geben. Es kann einfach sein, dass andere Sektoren gegenüber Bitcoin verlieren. Ggfs. müssen andere Sektoren die Halbleiter einfach teurer einkaufen; was natürlich nur geht, wenn sie es sich leisten können. Respektive ihre Kunden.
Wenn der Bitcoinpreis unablässlich steigt, dann werden Miner einfach weiter Hardware kaufen. Denn im „worst case“ bekommen die zahllosen anderen Sektoren einfach keine Halbleiter, weil der Markt ihn den zahlungsfähigen Minern verkauft.
In dem Moment, in dem diese anderen energieintensiven Güter, zum Beispiel Stahl oder Aluminium, stärker nachgefragt werden als zusätzliche Einheiten der Kryptowährung, sinkt die relative Attraktivität von Bitcoin. Dann ist die Preisobergrenze erreicht.
Und das ist der komische Zirkelschluss. Die Annahme ist ja gerade, dass der Preis einfach steigt. Im Extrem gedacht, werden energieintensive Güter nicht mehr nachgefragt, da sie gegenüber einer Investition in Mining-Hardware verlieren.
Er sagt einfach, wenn die Attraktivität von den energieintensiven Gütern steigt, dann sinkt die relative Attraktivität von Bitcoin. Wow. Surprise. Klar, Du hast eben per Definition gesagt, dass die Nachfrage von energieintensiven Gütern steigt. Die Frage sollte also eher lauten: Ist das tatsächlich so?
Kleines Gedankenexperiment:
A fertigt Stahl, B fertigt Computer, C fertig Halbleiter, D fertigt Mining-Geräte und E, einem Miner.
Annahme: Bitcoinpreis steigt und steigt, sodass sich Mining selbst bei 90Cent/kWh lohnt.
A kann mit diesen Energiepreisen nicht mehr gewinnbringend produzieren. B fehlen Halbleiter, weil sie zu teuer geworden sind, denn C verkauft seine Halbleiter an D, der hohe Preise verlangen kann, die E bereit ist zu zahlen.
Das zeigt erst einmal überhaupt keine Preisobergrenze an.
Letztlich ist das Szenario natürlich unrealistisch, weil die Kapazitäten an Standorten mit günstigem Strom schnell ausgebaut werden würden, diese rentabler würden, die Hashrate steigen würde und letztlich Miner mit besagtem teuerem Strom wieder aus dem Markt gedrängt werden würden.
Es ist eben alles ziemlich dynamisch.
Dies wird nicht passieren, denn warum sollten Menschen noch Bitcoin nachfragen, wenn aufgrund von Strommangel keine Nahrung mehr erzeugt werden kann?
Damit macht er an sich einen guten Punkt. Das ist es, was ich oben ansprach. Bitcoin ist Geld und damit Wertemaßstab. Temporär könnte Bitcoin natürlich große Mengen Energie binden, langfristig wird diese zu einem Großteil wieder in der Realwirtschaft genutzt. Bitcoin Strom"verbrauch" kann, aber muss nicht proportional zum Preis anwachsen. Bitcoin muss nur ausreichend sicher sein. Am Ende müssen echte Werte Bitcoin gegenüberstehen, die Bitcoin abbilden kann.
Er arbeitet ähnlich wie ich mit Extremen:
Was wäre, wenn die globale Chipindustrie ihre gesamten Ressourcen in die Produktion der für die Bitcoin-Förderung designten ASIC-Chips lenken würde?
Mikrochips stecken in immer mehr Produkten des täglichen Bedarfs. Wer aber würde noch Bitcoin nachfragen, wenn Autos nicht mehr führen, Laptops ihren Geist aufgäben und Erntemaschinen nicht mehr gesteuert werden könnten?
Ein gewinnorientier Mensch natürlich. Es ist eben ein Wettbewerb. Sollte die Chipindustrie das tun, dann müssten Auto-/Laptop-/…-Hersteller höhere Preise zahlen. Warum sollten Bitcoiner aufhören Bitcoin nachzufragen?
Auch hier würde die Knappheit in einen marktgetriebenen Anpassungsprozess münden, der die Attraktivität von Bitcoin mindert – und damit seinen Preis.
Ich sehe die Schlussfolgerung nicht. Ein marktgetrieben Prozess würde vor allem die Preise für Halbleiter explodieren lassen. Die Frage ist dann, wer bereit ist die hohen Preise zu zahlen und sie ggfs. an den Kunden weitergeben zu können.
In seiner Annahme könnte er genauso gut argumentieren, dass Computer, Laptops und Erntemaschinen unter einem höheren Bitcoinpreis teurer werden würden.
Bei welchem Bitcoin-Preis könnte sich eine Art Gleichgewicht einstellen und zu welchem Zeitpunkt könnte dies erreicht werden? Ab welchem Preisniveau wird die Umlenkung von Ressourcen aus anderen Sektoren in die Bitcoin-Förderung derart spürbar, dass die Weltwirtschaft aufgrund von Angebotsverknappungen in eine anhaltende Rezession stürzt, die letztlich zu einer geringeren Nachfrage nach Bitcoin und damit zu einem Preisverfall der Kryptowährung führt?
Genau das ist es, was ich oben andeuten wollte. Ich glaube, dass wir von diesem Gleichgewicht weit weg sind. Außerdem ist es müßig dieses Gedankenspiel in einer FIAT-Welt durchzuspielen, da hier die Geldmenge variabel ist.
Spannend finde ich die Frage tatsächlich dann, wenn man sich einmal in eine hyperbitcoinisierte Welt denkt.
Bitcoin ist Denominator aller Waren und Dienstleistungen. Bildet also praktisch immer alle Werte ab, wodurch die Kaufkraft vor allem durch die Menge an Waren und Dienstleistungen, aber auch zunehmend von der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes abhängen wird.
Und hier kann man sich dieses Gleichgewicht deutlich besser vorstellen. Fließt alles Geld in Mining (und entsprechende Ressourcen und Energie), so kommt es zu einer Reduktion der Waren und Dienstleistungen und somit zu einem Kaufkraftverlust. Dadurch wird Mining unattraktiver und Geld fließt eher in Produktion und Dienstleistungen. Und da ist es eben spannend. Wo wird dieses Gleichgewicht liegen?
Keine Ahnung.
Er nennt dann ein Modell:
Über ein Standardmodell aus der politischen Ökonomie, das sogenannte Tullock-Modell, lässt sich ableiten, dass die Stromkosten für die Bitcoin-Produktion sich stets parallel zum Bitcoin-Kurs entwickeln.
Das ist erstmal nicht unwahrscheinlich und zunächst nicht weiter schlimm.
Weiter folgert er:
Bei einem Preis von einer Million US-Dollar käme man auf 20 Prozent der globalen Stromproduktion.
Jetzt sagt er, passiert ein Preisanstieg rasch und fällt der Preis schnell, so würde keine realwirtschaftliche Anpassung stattfinden. (Gehe ich mit. Braucht eben Zeit.)
Würde der Preis länger halten, so würde es reale Anpassungen geben. (Gehe ich auch mit.)
ABER. Nun sagt er:
Es ist naheliegend anzunehmen, dass es spätestens bei einem Stromverbrauch von zwei Prozent der weltweiten Erzeugungskapazitäten zu den oben beschriebenen relativen Preisverschiebungen und/oder politischen Eingriffen kommen würde.
Das ist Willkür und nicht naheliegend.
Wieso nicht bei vier oder acht Prozent? Oder sogar erst bei 50 Prozent?
Klammern wir mal die politischen Eingriffe aus, da sie nicht absehbar sind und ggfs. nicht rational.
Was tut denn der vermeintlich rationale Markt?
Der hat vor allem mit gestiegenen Halbleiterpreisen zu kämpfen. Nicht mehr, nicht weniger.
Für den Autor ist der Gegenspieler ist eine Rezession. Aber niemand kann absehen ob sie eintritt und falls ja, ab welchem relativen Anteil von Bitcoin am globalen Strombedarf. Nobody knows.
Und hier zweifle ich ein wenig an der Kompetenz des Autors:
Denn die Preisobergrenze wird sich aufgrund einer weiteren Besonderheit des Bitcoin-Protokolls langfristig nach oben verschieben:
Und dann nennt er das Halving. Er stellt einen direkten Kausalzusammenhang her. Halbe Belohnung. Doppelter Preis. Bei gleichem Strombedarf. Und damit könnte der Preis sich mit den entsprechenden Halvings verdoppeln, bei gleichem Strombedarf. Aber wie magisch unterstellt er, dass Bitcoin eben nur maximal 2% des globalen Stromes abnehmen würde/könne. Weil ja ansonsten die Rezession einsetzen würde.
Naja.
Lange Rede, kurzer Sinn. Den Strompreis empfinde ich tatsächlich als hilfreich um eine Preisuntergrenze für mich zu bestimmen. Nach obenhin gibt es theoretisch keine Grenze. Praktisch wird sich irgendwo ein dynamisches Gleichgewicht einstellen. Wo das liegt kann nur die Zukunft zeigen.