Praxeologie - Bitcoins Elfenbeinturm?

Disclaimer: Manch einem könnte es so vorkommen, dass ich die Österreichische Schule (ÖS) grundsätzlich ablehne. Dem ist nicht so. Ich schätze ihren Ansatz, Ökonomie vom Menschen her zu denken. Für mich ist das ein klarer Vorteil gegenüber anderen Schulen der Ökonomie, die nur auf der Makroebene verweilen. Ich bin jedoch der Meinung, dass die ÖS mit einer ebenso großen Vorsicht zu genießen ist, wie jede andere ökonomische Schule ohne Bezug zur Praxis.

Meine Diskussionen zu Bitcoins Vermögenskonzentration streiften immer wieder das Thema Praxeologie. Um sicher zu stellen, dass ich diese richtig einordne, möchte ich meine Vorstellung von der Praxeologie hier zur Diskussion stellen.

  1. Die Praxoeologie ist eine philosophische Schule, die sich der Ökonomie widmet. Diese ist als Österreichische Schule (ÖS) bekannt.

    a) Die Österreichische Schule möchte Zustände beschreiben. Sie erhebt keinen Anspruch Vorhersagen treffen zu können.

    b) Genauso lehnt die ÖS es ab, ihre Theorie an der Praxis zu messen.

  2. Die Praxeologie geht von rational handelnden Menschen aus.

Sollte mein Verständnis von Praxeologie und ÖS korrekt sein, verstehe ich nicht, was uns die ÖS über einen neuen Theorieansatz hinaus nutzt. Zumal eine ihrer Grundannahmen (siehe 2.) nachweislich falsch ist.

Die Praxeologie geht erst einmal von handelnden Menschen aus! Rational oder Irrational ist bereits ein externes Bewertungskriterium des Handelns.

Der einzige Nutzen den die ÖS hat, ist zu beschreiben. Daher lässt sich diese auch nicht anwenden oder ist ein Leitfaden. Es wird aus der ÖS auch kein neuer Nutzen erschaffen oder ähnliches.

Es ist genau so, als würdest du ein Bild beschreiben. Motiv, Bildstil, Farben, Kompusition usw usw. Du beschreibst also das Bild bis aufs kleinste Detail. Und dann fragt dich jemand, was er jetzt anhand deiner Beschreibung an seinem Bild besser machen kann und was er aus deiner Beschreibung für Nutzen ziehen kann. Das ist doch eine komische Frage anhand einer Beschreibung.
Die Antwort ist = keinen Nutzen! Es ist nur eine Beschreibung.

3 „Gefällt mir“

Danke. Warum versuchen Bitcoiner dann mit Hilfe der ÖS ökonomische Wirkungszusammenhänge darzustellen?

Solange es nur eine Beschreibung des Ist-Zustandes ist, ist an einer Darstellung von Wirkungszusammenhängen (oder der Versuch) meiner Meinung nach nichts, was gegen die ÖS spricht. Sobald daraus Soll-Zustände oder Zukunfsvorstellungen werden, hat es nichts mehr mit Beschreiben zu tun und entspricht nicht mehr dem Anspruch der Praxoeologie/ÖS.

Falsch.
Die Praxeologie geht von rational handelnden Menschen aus.

Ich denke die ÖS ist ein Versuch die zugrundeliegenden Gesetze zu finden und sich nicht von einem Rauschen verwirren zu lassen.

Wie meine ich das?

Folgende Metapher.
Du rollst einen Ball. Was passiert? Er hört irgendwann auf zu rollen. Warum? Es gibt das Phänomen der Reibung. Denken wir uns die Reibung weg, so würde der Ball für immer weiterrollen.

Worauf will ich hinaus?
Wir haben eine willkürliche Geldmengenausweitung, unverständliche Finanzvehikel und vieles mehr (Rauschen). Innerhalb dieses Systems handeln wir, aber wir können das System ohne die Einflüsse nicht beobachten. Wir überlegen uns also ein Postulat: Memschen handeln. Anschließend leiten wir deduktiv ab, welche Konsequenzen dies hat.

Wir erhalten ein Blick darauf wie Dinge sein könnten, da wir strenger Logik folgen.

Der Unterschied. In der Physik lassen sich diese Postulate etwas besser überprüfen. Die ÖS lässt sich nicht prüfen. Das Problem: Die Welt ist zu komplex.

Gleichzeitig ist die Welt allerdings auch so komplex und unterliegt einem ständigen Wandel, sodass auch mathematische (und damit überprüfbare) Modelle daran scheitern die Wirklichkeit abzubilden.

Ich denke, dass die ÖS ganz stark dabei hilft zu verstehen, was Preise und Zins bspw. wirklich sind? Deren Funktion und Einfluss auf das Handeln von Menschen. Genauso erklärt sie bestens warum eine Geldmengenausweitung, bei gleichbleibender Umlaufgeschwindigkeit, immer zu einer Preisinflation führt, sofern die Wirtschaftsleistung nicht in gleichem Maße mitwächst.

3 „Gefällt mir“

Genau hier beginnen meine Probleme. Woher weiß die ÖS, dass ihre Beschreibung des IST-Zustandes der Realität entspricht, wenn sie sich weigert, diese anhand der Realität zu überprüfen?

Nach meinem Verständnis, können derartige Beschreibungen nur IST-Behauptungen sein, aber keine IST-Zustände.

Das behauptet die ÖS. Gleichzeigt argumentiert sie, dass Märkte gerecht seien, weil Menschen auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Eigener Vorteil = Rational. (Menschen können unter bestimmten Umständen jedoch auch gegen ihre eigenen Interessen handeln = irrational.)

Ich stimme zu, dass Märkte eine rationale Komponente haben. Doch sie haben auch eine emotionale Komponente, die ich aus den Argumentationen der Praxeologen nie heraus höre.

:heart:

Schönes Beispiel, weil es wunderbar demonstriert, dass wir ohne Empirie aufgeschmissen sind. Dasselbe gilt für die ÖS. Woher wüsste sie, dass der Ball überhaupt rollt bzw. irgendwann damit aufhört?

Ein Nebengedanke: Wie wir die Welt betrachten, hängt stark davon ab, wie wir sie wahrnehmen. Wer stellt also sicher, dass alle Praxeologen von derselben Realität ausgehen?

Das halte ich für eine Schutzbehauptung. Vor etwa 400 Jahren (wenn ich von Newton aus rechne) oder vor gut 2500 Jahren (wenn ich von Archemedis aus rechne) nährten sich Newton oder Archemedis ihren Beobachtungen auch nur sehr grob (im Vergleich zu dem, was wir heute wissen) an.

Der Unterschied ist, dass Physiker irgendwann angefangen haben, ihre Modell systematisch zu untersuchen. So wie Physiker versuchen das ganze Bild aus überprüfbaren Einzelteilen zusammenzusetzen, könnte die ÖS genauso vorgehen. Wenn sie wollte.

Komplexer als Teilchenphysik geht es wohl kaum. Wenn die ÖS als zu komplex wahrgenommen wird, liegt das wohl daran, dass ihre Themen nicht klar genug eingegrenzt / von einander abgegrenzt werden.

Im Sinne der theoretischen Physik stimme ich Dir zu.

Im Sinne der praktischen Physik können wir das nicht wissen, weil die Gedanken zur Geldmengenausweitung nur Theorie sind (wenn auch eine, die plausibel erscheint).

Ich würde es anders verstehen. Die ÖS sieht einen Ball rollen und geht demnach davon aus, dass dieser irgendwann (je nach Untergrund und Geschwindigkeit) aufhören wird zu rollen, da sie die Grundannahme haben, dass es einen Reibungswiderstand gibt. Die Gesetze der Natur (oder Wirtschaft) müssen zuvor ergründet worden sein. Dabei handelt es sich wahrscheinlich (oft nur) um theoretische Modelle, die so lange gelten, bis sie widerlegt werden.

Interessanter Thread.

Danke für Deine Übersetzung. Ich lande wieder bei derselben Frage. Wie kann die ÖS einen Ball ohne Empirie rollen sehen? Das ist mein Punkt.

Da die ÖS Empirie ablehnt, kann sie ihre Theorie in keiner Weise überprüfen. Streng genommen, kann sie sich nicht einmal auf Ereignisse der Realität berufen, weil sie diese nicht beobachten kann.

Empirie = Beobachtung der Realität

Dies kann nach Augenschein erfolgen = Ich sehe etwas, was Du nicht siehst. Oder wie ich es vorhin formuliert habe:

Oder die Beobachtung der Realität erfolgt unter kontrollierten Bedingungen.

Das bringt mich zu der Schlussfolgerung, dass die Praxeologie die Augenschein-Empirie akzeptiert, aber kontrollierte Empirie ablehnt.

Ich hoffe, mir kann jemand aufzeigen, was ich in punkto Praxeologie übersehe.

Nein. Sie sagt die Märkte sein effizient. Von Gerechtigkeit ist keine Rede.

Richtig Menschen handeln. Das ist die Annahme. Rational oder irrational - darüber trifft die Ös keine Aussagen.

Das versucht die ÖS mit „Menschen handeln“ abzubilden. Die Gründe für das Handeln sind egal, weil subjektive und (un)bewusste Wertungen zugrunde liegen. Die ÖS beobachtet einfach und interessiert sich nur für die ersichtlichen Handlungen.

Guter Punkt. Mir fehlt bspw. auch ein soziologischer Blick innerhalb der ÖS.

Für mich bildet die ÖS deshalb auch keinen Turm. Sie ist nur ein Baustein meines Verstehens-Gebäudes rund um Bitcoin und Ökonomie.

Ja. Wobei wir in der Mathematik zum Teil ähnlich arbeiten. Wir können zwar nicht zeigen, dass etwas absolut gilt. Aber wir können in sich logisch Ableiten und jnnerhalb der axiome beweisen, dass etwas korrekt ist.

Jein. Dadurch, dass die ÖS nur das Axiom „Menschen handeln“ verwendet und ansonsten (zu meinem aktuellen Kenntnisstand) widerspruchsfrei ist, lässt sie sich nicht falsifizieren.

Gerade die Falsifizierbarkeit bildet jedoch die fundamentale Grundlage von Wissenschaften. Nicht zu letzt ist das einer der Gründe, weshalb die ÖS in der breiten Wissenschaft keine große Anerkennung genießt.

Vielleicht würden ihr tatsächlich simulationen gut tun, in denen man Geldmengen in fiktiven Ländern ausweitet und sich die Folgen anschaut. Wobei solch ein Modell natürlich nur das ausspuckt, was vorab in das Programm geschrieben wurde.

It’s tricky.

Nicht die ÖS. Die Weltwirtschaft. So viele Faktoren und Individuen mit individuellen Handlungen, dass es sehr schwierig wird dies in Modellen abzubilden.

Die ÖS per se halte ich erst einmal für nicht sonderlich komplex. Aber ich mag mich irren.

Super, dass Du das nochmal so betonst. Bitte nehmt meine Analogien und Metaphern nicht wörtlich. Sie sollen wirklich nur der Anschauung dienen. Kein bisschen mehr. :slight_smile:

Touché. Hier bräuchte es evidenzbasierte Ansätze.

Vielleicht ist das die große Challenge der ÖS. Preisinflation als Folge von Geldmengenausweitung zu postulieren und zu prüfen. Aber da sind wir wieder beim Problem. Das Rauschen. Experimente komplett ohne jegliche Reibung lassen sich nicht realisieren.

It’s fucking tricky.

Ist denni noch im Forum? Ich glaube er war auch immer sehr bewandert im Bereich der Praxeologie.

Stimmt. Falsche Wortwahl. Effizient ist das richtige Wort. Trotzdem wird dieser Effizienz stets Rationalität unterstellt. Sobald ich wieder einen Tweet oder einen Zitat mit Rationalitätsbezug sehe, poste ich es hier.

Wie tut sie das ohne Empirie?

Ja, Deine Sicht teile ich. Mir geht es in diesem Punkt jedoch um das Selbstverständnis der Praxeologen. Wie rechtfertigen sie ihre Vorgehen?

Ich bin zwar kein Mathematiker, meine aber aus vielen Unterhaltungen mit Mathematikern zu wissen, dass alles auf Axiomen basiert, deren Konsequenzen erforscht werden. Am Ende muss sich die neue Mathematik auch immer in der Praxis bewähren (auch wenn zwischen der Entwicklung neuer Mathekonzepte und ihrer Verwendung Jahre liegen können), sonst wäre Mathematik ein Selbstzweck, was sie nach meinem Verständnis nicht ist.

Wo sich die Mathematik also irgendwann in der Praxis bewähren muss, scheint die Praxeologie keiner Überprüfung standhalten zu wollen.

Welchen Nutzen bietet uns die Praxeologie damit? Woher nimmt sie sich das Recht, sich über andere ökonomische Schulen (oder über Horoskope) zu stellen?

Hast recht, da habe ich mich unsauber ausgedrückt, aber gemeint, was Du konkretisierst.

Ich halte die Wirtschaft nicht für (wesentlich) komplexer als die Teilchenphysik. Daher sollte mit etwas Pioniergeist auch Empirie oder Simulationen möglich sein. Zumal in jeder Wissenschaft untersuchbare Teilbereiche identifiziert werden.

Btw, die Zuckersimulation betrachte ich als einen solchen Weg, die Annahmen der ÖS zu überprüfen (Punkt 2).

Die Verhaltensökonomie à la Kahneman ist ein anderer Zugang.

Ich denke dass jeder Mensch nur Rational denken kann und sich somit immer die für ihn aktuell beste Entscheidung trifft.

Allerdings gibt es hier einiges zu Beachten: Was ist das Beste eines Menschen? Ist es ein langes Leben oder nur ein wenig Wasser trinken? Menschen treffen zu jeder Sekunde unzählige Entscheidungen und anhand ihrer Erfahrungen können sie später auch einschätzen ob es sinvoll war oder eben nicht. Wer über eine Entscheidung vorher nachdenkt kann damit eventuell bessere Ergebnisse bekommen oder eben nur sehr viel Energie und Zeit durch das Nachdenken verloren haben. Und jehnachdem was die Menschen gerade priorisieren, zB. Essen, Schlafen oder Lernen, danach richtet sich auch, wass sie eben gerade für das Beste halten.

Deswegen denke ich, dass ein Mensch zur aktuellen Zeit immer die Beste sich bietende Entscheidung trifft auch wenn derselbe Mensch diese Entscheidung vorher als blödsinn eingestuft hat. Selbst wenn er es auch in Zukunft diese Entscheidung als Blöd empfindet, zur Tatzeit hat er keine bessere Möglichkeit gesehen als diese Entscheidung wirklich zu tun. Und aus Sicht eines darüber Nachdenkenden anderen Menschen kann es erstrecht Blödsinnig wirken, aber dieser Andere Mensch hat eben nicht die gleichen Informationen oder das gleiche Befinden des betrachteten Menschen. Jeder Mensch ist einzigartig, auch in seinen Handlungen wegen anderen Erfahrungen und anderen (körperlichen) Vorraussetzungen.


Ich muss gestehen, dass ich zur Östereichischen Schuhle bis jetzt nichts gelesen habe und immer nur von Kommentaren darauf aufmerksam gemacht werden. Wenn diese keine überprüfbaren Experimente macht, dann denke ich ist die Theorie auch nur schönes wunschdenken. Wie Lesch immer so schön sagt: Die Theorie muss an der Wirklichkeit oder am Experiment scheitern können, ansonsten lohnt es sich nicht der Theorie nachzugehen. Beispiel: Gibt es einen Gott? Man kann es nicht beweisen aber auch nicht nicht beweisen. Und solange das ist kann man so schöne Theorien über Gott aufstellen wie man will, sie sind nur Gültig wenn es sie wirklich gibt. Das Gedankenfundament steht dann auf sehr wackeligen Beinen.

Aber nur weil es „offiziell“ nicht gewollt ist, was hier angedeutet wird, bedeutet das nicht, dass man nicht selber die Überprüfungen oder vorhersagen der Theorie in Angriff nehmen kann. Es ist halt aufwendig, benötigt größere Studien oder gute überprüfbare Computermodelle.

Und was ich noch anbringen will ist (ich weiß nicht ob dass mit der ÖS im Einklang ist), dass ich denke dass das Grundprinzip, also quasi das Axiom der Wirtschaft das Selektionsprinzip ist. Dieses lässt sich auf verschiedenen Ebenen der Evolution immer auf mikroskopischer Ebene (individuelle Akteure) und makroskopischer Ebene (statistisches zusammenspiel der Akteure) anwenden. Es besagt grob gesagt entweder makroskopisch von vielen Ereignissen statistisch gesehen die „guten“ Ereignisse bevorzugt werden (was auch immer gute Ereignisse sind) oder mikroskopisch die Akteure bevorzugt werden, die gute Entscheidungen treffen bzw. gute Umweltbedingungen haben oder sich schaffen können.

Diese Betrachtungsweise kann man nun für verscheidene Ebenen der Evolution anwenden: Die Akteure sind dann jeweils entweder: Quarks, Atome, Molekühle, Zellen, Zellhaufen (Individuen) oder Gruppen von individuen (Gesellschaften). Wer weiß was für größere Evolutionsebenen es noch über den Staaten geben wird?

Dann gibt es die Physiker, die sich mit den Quarks als Akteure beschäftigen und versuchen die Regeln des „Zusammenlebens“ zu bestimmen. Warum bilden sich Atome? Wie halten die Quarks sich zusammen? Die gleiche Frage stellt man sich wiederum für Atome: Warum biden sich Molekühle, wie haten die Atome zusammen? Um die Ebenen darüber kümmern sich die Biologen: Warum gibt es Bio-Zellen, wie können sie sich reproduzieren, was ist ihr stoffwechsel? Warum gibt es Individuen (Menschen), wie halten die Zellen zusammen? Wie arbeiten die Zellen zusammen? Und schlussentlich kommen wir zur Wirtschaft, den Soziologen und Ökonomen: Warum gibt es Menschengruppen, wie halten diese zusammen, wie interagieren die Gruppen miteinander?

Und in jeder Ebene gibt es immer wieder die individuelle (mikroskopische) Betrachtungsweise, die Wissenschaftler erst verstehen müssen um dann daraus ableiten zu können welche statistischen (makroskopischen) Effekte daraus resultieren. Oder sie versuchen makroskopische Effekte statistisch zu beschreiben um daraus auf die individuellen mikroskopischen Grundlagen schließen zu können. Und so kommt man wie mit einer Kette vom kleinen zum großen: Wenn man versteht wie ein Quark funktioniert, dann versteht man wie daraus statistisch Atome werden. Wenn man dann versteht wie die Atome funktionieren, dann kann man verstehen wie sich die Atome zu Molekühlen zusammenschließen. Wenn man dann Molekühle versteht, dann kann man daraus statistisch das Funktionieren einer Bio-Zelle herleiten. Und wenn man weiß wie die Zellen funktionieren, dann kann man verstehen, warum sie sich clustern und Lebewesen bilden. Und wenn man Lebewesen versteht, wie sie funktionieren, dann kann man vielleicht verstehen wie sie miteinander interagieren, wie sie handeln. Das ist die Wirtschaft.

Ich halte diese Analogien nicht für ein Zufall. Jede Ebene hängt von dem statistischen Funktionieren der Ebene darunter ab und bildet das Fundament für die nächst höhere Ebene. Die Gesellschaft hängt also auch indirekt davon ab, dass die Quarks genau das weiter tun, was sie Erfahrungsgemäß immer getan haben. Ein Mensch verlässt sich darauf, dass seine Zellen funktionieren und sich problemlos teilen können. Und das können sie, weil die Zellen, die es nicht konnten nach dem Selektionsprinzip nicht mehr leben. Jede Ebene vollzieht eine Evolution: Das bessere Konzept wird sich langfristig durchsetzen und die jeweilige Evolutionsebene und alle darüber statistisch am Laufen halten.

Lange vorrede kurze Aussage: Gerade wegen diesen Analogien aus der Evolution halte ich es für hochgradig notwendig, dass wenn man das komplexe Wirtschaftssystem verstehen will, dann ist es elementar die Beweggründe der handelnden Akteure, Menschen und Menschengruppen zu verstehen, wie sie miteinander interagieren und welche Gesellschaftsregeln sie sich geben (oder vorgegeben bekommen, wie zB. die biologische Einteilung von Frau und Mann aus der Entwicklung der Zellhaufen).

Trotsdem kann man auch immer die statistischen Zusammenhänge ergründen auch ohne die individuellen Akteure zu kennen, zB. Aktienkurse tendieren nach oben zu gehen wenn der Leitzins negativ ist. Die Physiker können eine Wasserwelle problemlos beschreiben ohne wissen zu müssen dass die Atome sich mit der Wellenbewegung mit bewegen, oder die Temperatur ohne dass es Teilchen geben muss die sich zittternd bewegen. Aber für die Einordnung kann es helfen wenn man das Verhalten der Einzelakteure kennt. Die Wechselbeziehungen zwischen Mikroebene und Makroebene kann man immer in beide Richtungen erforschen.

Es geht nie um das warum. Das wird den Philosoph:innen überlassen.

Es geht um eine möglichst plausible Erklärung und Modelle, die die Natur möglichst nah abbilden. Die Überprüfung erfolgt durch Experimente.

Kannst Du mir das einmal am Beispiel einer Person mit Hirnverletzung oder mit einer psychischen Krankung erklären? Und wie sieht das bei multipler Persönlichkeit aus?

Sry, es so sagen zu müssen: Da täuschst Du Dich. Menschliche Irrationalität ist keine Frage des Glaubens. Es ist schlichtweg eine Erkenntnis der Psychologie, Soziologie, Verhaltensökonomie,…

Interessierten Einsteigern empfehle ich:

oder

Denke ich nicht. Ich stelle lediglich in Frage was Rationalität ist. Nach meiner Definition ist Rationalität das Bestreben aus einer Situation immer das Beste für den handelnden Akteur herraus zu holen und ich denke dass das Menschen immer und jederzeit machen. Aber „das Beste“ ist für jeden Menschen anders und kann sich sogar mit der Zeit für einen einzelnen Akteur ändern. Somit ist immer jede Handlung Rational für den handelnden Menschen, sonst hätte er diese Handlung nicht vollzogen. Trotsdem kann es sich als eine falsche Entscheidung im Nachhinien herrausstellen und als Irrational angesehen werden. Erst Recht für Menschen die von außen auf die Situation mit völlig anderem Wissensstand schauen.

Bei multipler Persönlichkeit ist es genauso wie bei normalen Menschen die zwischen kurzzeitigen Präferenzen und langzeitigen Präferenzen hin und her entscheiden müssen.

Nehmen wir einmal ein Extrembeispiel: Ein Mensch muss eine lange Reise so schnell wie möglich vollbringen, weil sonst etwas schreckliches passiert. Sieh den Mensch als Boten der eine wichtige Nachricht überbringen muss oder ein heilendes Medikament dabei hat. Wichtig für diese Betrachtung ist nur, dass sein längerfristiges Ziel ist die Reise so schnell wie möglich zu vollenden.

Das Problem ist nun die Zeit. Der Mensch hat Grundbedürfnisse wie Schlafen, Essen, Trinken, Wasser lassen usw. All diese Aktionen kosten Zeit, die dieser Mensch für die Reise opfern muss. Er muss also zu jeder Sekunde der Reise immer wieder neu entscheiden, wann er eine Rast einlegt um seine eigenen Grundbedürfnisse zu stillen, die aber Zeit kosten die er vielleicht nicht hat. Sollte er zB. sich entscheiden nichts zu essen, dann gefärdet er sein langfristiges Ziel anzukommen weil er wegen der Reiseanstrengung schnell verhungern würde. Jehnachdem wie Lang die Reise ist, kann er also zu unterschiedlichen Abschätzungen kommen: Ein Tag kann man schon mal durchlaufen, eine Woche ohne Essen nicht. Ein zwei Tage kann man schon mal ohne Schlaf auskommen, einen Monat wird schon eng. Irgendwann meldet sich der Körper von ganz alleine und sagt dem Menschen dass er sich doch gefälligst mal um ihn Körper kümmern sollte.

Das Dilemma innerhalb eines Menschen ist schon groß genug, aber wenn man jetzt das als Geschichte hört, dann fallen einem tausende Aktionen ein wie man die Reise selber gamacht oder geplant hätte. Man hat einen anderen Körper der andere Signale senden würde. Und das beschriebene Dilemma gibt es für alle lanfristigen Ziele die sich ein Mensch sezt, die mit kurzzeitigen Zielen überschrieben werden können, ein Buch schreiben, erfolgreich im Beruf werden, …

Und man kann die gleiche Rationalität auch für Erkrankte anwenden: Wer jeden Tag schmerzen hat hällt den Tod warscheinlich nicht unbeding mehr für was schreckliches sondren vielleicht für die Erlösung seiner Qualen. Wenn ein Hirnkranker jeden Tag Wahnvorstellungen hat weil seine Nervenzelen die Zeichen seiner Sensoren nicht mehr richtig Interpretieren, dann macht das Gehirn das logischste daraus, was es machen kann: Sich vor den Angreifern verteidigen, auch wenn es „in Wirklichkeit“ nur die Krankenschwester war. Auch Multiple Persönlichkeiten sind so Rational erklärbar. Zu jeder Zeit macht das Gehirn das, was es selber für das Beste hällt, aber mit der Zeit wechseln sich eben die Persönlichkeiten ab. Und jede Persönlcihkeit handelt eben ein wenig anders als es zB: dem Gesammtmenschen gut tun würde oder als es einer anderen Persönlichkeit, die gerade unterdrückt wird handeln würde. Von außen kann so sehr leicht ein Irrationales Verhalten angeprangert werden, zB. wenn die eine Persönlichkeit auf ihren Körper hört und Essen bestellst und wenn das Essen kommt dann wechselt die Persönlichkeit auf jemanden, der seine Körperimpulse unterdrückt und das Essen zB. wegwirft. Trots des Widerspruches, das Essen zu bestellen um es dann sofort wegzuwerfen hat dieser Mensch zu jeder Zeit Rational gehandelt und die aktuelle Situation versucht zu seinem Besten zu wenden. Dass das natürlich nicht immer gelingt, gerade wenn sich die eigenen Präferenzen oder äußere Umstände ändern ist ja wohl klar.

Ja natürlich, stell dir mal vor du Rauchst und willst dabei aufhören. Trotsdem greifst du immerwieder zur Zigarette. Ich behaupte dass du trot des wiederspruches zu jeder zeit rational handelst. Weil wenn du auf entzug bist, dann verlangt dein Körper nach der Zigarette und das kann so stark sein, dass du es für rational hällst jetzt eine zu rauchen. Danach fühlst du dich aber trotsdem schlecht weil du dein ziel aufzuhören versemmelt hasst. Trotdem war es zu jeder zeit die Beste Entscheidung die du treffen konntest weil du dich sonst nicht so entschieden hättest.

Ich Persönlich halte es für sehr gefährlich und überheblich davon auszugehen dass andere Irrational handeln nur weil man selber nicht versteht, was die jeweiligen Beweggründe der anderen Person waren.

1 „Gefällt mir“

Du hast natürlich das Recht Dir Deine eigenen Definitionen zu schaffen. Wundere Dich jedoch nicht, wenn andere diese nicht verstehen. So wie ich.

Beweggründe klingt zwar Rational, doch menschliche Rationalität ist an Ziele und Zwecke gebunden, die bewusst verfolgt werden.

Irrationalität handeln Menschen hingegen, wenn sie entgegen ihrer Vernunft entscheiden. Wenn sie also auf die schnelle anders entscheiden, als sie mit Zeit und darüber nachdenken entschieden hätten.

2 „Gefällt mir“

Word!

Wenn wir anfangen individuelle Definitionen zu nutzen, und nicht solche, die im Rahmen von sozialen Konstruktionsprozessen als ‚allgemein gültige‘ Verstanden werden…

… ja, dann ist dieser Austausch nahezu nutztlos.

Wie lautet die „allgemein gültige“ Definition von Rationalität?

[Der Beitrag muss mind. 10 Zeichen lang sein]

Nach deinem Link steht da: Rationalität beschreibt ein vernunftgeleitetes Denken und Handeln. Es ist an Zwecken und Zielen ausgerichtet.
Das ist schon mal ein Unterschied.

Weiterhin steht da auch drin:
Rationalität kann, je nach Anwendungsbereich und je nachdem, was man als vernünftig betrachtet, unterschiedliche Bedeutungen haben. Man spricht in der Moderne deshalb auch von verschiedenen Rationalitäten der einen Vernunft. => Ist Rationalität also etwas objektives oder etwas subjektives?

Wiederum weiter unten sind 4 Aspekte genannt u.a.:
Viertens wird der Begriff Rationalität bzw. „rational“ als Erklärungsmuster für Handlungen, Überzeugungen, Wünsche oder Normen verwendet. Eine in diesem Sinne „rationale Erklärung“ einer bestimmten Handlung oder Überzeugung versucht diese – durch Angabe der jeweils (handlungs-)situationsspezifischen Bedingungen – intersubjektiv verständlich, d. h. für andere Menschen nachvollziehbar zu machen. Die erklärende Analyse fragt nach den Bedingungen und Motiven rationalen Handelns.

→ Mal abgesehen davon, dass es scheinbar verschiedene Rationalitäten gibt, wäre dieser vierte Punkt doch schon recht nah an dem, was @DasPie beschrieben hat (oder wie ich es verstanden habe).

Ich glaube in der Subjektivität und der Betrachtung des Einzelnen liegt auch einer der Kernpunkte in Bezug auf die Komplexität (und damit der Modellierbarkeit) - die ihr weiter oben diskutiert habt - im Vergleich von Wissenschaften wie Mathematik/Physik etc. und Ökonomie.
Physikalische Prozesse kann man, abgesehen vom Mikrokosmos gut von außen beobachten, ohne auf diese Prozesse Einfluss zu nehmen.
Das ist in den Disziplinen wo menschliches Denken und Handeln maßgeblichen Einfluss haben, wie auf die Ökonomie, m.W.n. nicht möglich, weil unsere Gehirne (zumindest aktuell) eine „Blackbox“ darstellen.

2 „Gefällt mir“