Die Schwingungsgleichung kannst du in der realen Welt anwenden wenn du ausschließt, dass die Störfaktoren zu groß werden. Nimm ein Verbrennermotor als Beispiel: Hier haben die Ingenieure es geschafft eine Machine zu bauen, in der periodisch exakt die gleichen Vorgänge ablaufen. Wie ist das möglich? Weil es Attraktoren gibt sodass das Modell mit sehr guter Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass die betrachteten Objekte dahin bewegen, wo sie hin sollen. Das bedeutet: Selbst wenn es kleine Abweichungen durch die Realität gibt führen die Attraktoren dazu, dass diese Abweichung mit der Zeit immer kleiner werden und du dieses Modell quasi unendlich lange so weiter fortführen kannst. Ganz unendlich ist natürlich auch übertrieben, die Physik kennt keine Unendlichkeiten, irgendwann geht auch jede noch so gute Maschine einmal kaputt.
Und natürlich kannst du jetzt sagen: Ein Autounfall ist nicht im Modell vorgesehen und auch da hast du recht: Nach einem Autounfall funktioniert der Motor eventuell nicht mehr so wie im Modell vorgesehen, dann ist das Modell gebrochen.
Der Qualitiative Unterschied vom Modell des Motors und der Bitcoinpreiskurve ist, dass das Modell des Motors konvergiert während das Modell des Bitcoinpreises divergiert. Wegen dem Attraktor und der Schwingung im Motor werden die Fehler in Normalbetrieb immer kleiner während die Fehler bei dem Fit des Bitcoinpreises aus der Vergangenheit mit der Zeit immer größer werden.
Ich behaupte nicht, dass ich das aus den Eigenschaften von Bitcoin irgendwelche Preise ablese. Auch ich gehe dazu auf einen Markt um im Zusammenspiel mit vielen Marktteilnehmer einen Preis auszuhandeln.
Was ich dir nur versuche klar zu machen ist, dass du kein mathematisches Modell für die Tiefpunkte des Bitcoinpreises benötigst. Wenn dich das interessierst kannst du mit Lineal und Bleistift die Kurve so fortführen, wie du es für richtig hältst. Diese Linie hat dann eine genauso gute Vorhersagekraft wie eine berechnete Kurve. Und wenn du deine Informationen über Bitcoin mit einfließen lässt wird diese Kurve wahrscheinlich besser als jedes mathematische Modell.
Wenn du dir mal Finanzsendungen und Chartanalysen anschaust, da wird permanent drin herum gemalt und mit dem Bolligerband oder einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation die Preise versucht vorherzusagen. All diese Modelle haben exakt die gleiche Vorhersagekraft bezüglich des Preises: Vielleicht geht es hoch, vielleicht geht es runter.
Aus dem einfachen Grund weil der Preis nur sekundär von den historischen Daten abhängt sondern vielmehr auf Angebot und Nachfrage reagiert, also wie die Menschen auf Ereignisse in der Realen Welt reagieren.
Wenn du den Preis irgend eines Assets also abschätzen willst, dann musst du möglichst viel Informationen aus der gesamten Welt sammeln und abschätzen, wie diese Information den Preis beeinflussen könnte. Damit kannst du deutlich bessere Prognosen aufstellen als es dir irgendeine Trendlinie sagen kann.
Die Eigenschaften des Assets (Bitcoin) zu kennen und zu verstehen gehören natürlich dazu, aber genauso wichtig ist es zu wissen, wie sich die Umwelt gegenüber Bitcoin verhält. All diese Daten haben einen Einfluss auf den Bitcoinpreis und umso mehr dieser Einflüsse du abschätzen und richtig genug vorhersagen kannst, desto genauer kannst du auch die Preisentwicklung vorhersagen.
Aber eines haben alle Vorhersagen gemeinsam: Es ist die Zukunft und die ist in unserer komplexen Welt nuneinmal ungewiss.
Hier ist es schwierig von „Die Physik“ zu sprechen weil das ein viel zu großer Bereich ist. Klar gibt es legitime Anwendungsgebiete von Regressionen oder Fit-Kurven, aber auch die angesprochenen Attraktoren in einem Modell müssen hinterfragt werden. Wenn du z.B. in einem Klimamodell Attraktoren einbaust, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind, dann spuckt dir dein Modell Daten aus, die du haben willst, es divergiert auch nicht und macht die Fehler somit beliebig klein. Aber wenn die Ergebnisse dann nicht der Realität entsprechen ist das Modell eben auch nicht wertvoll. Das Problem ist, dass man das Modell beliebig wählen kann und auch beliebige Attraktoren einbauen kann, wenn die Attraktoren dann aber (anders als im Motor) nicht existieren, dann weicht das Modell eben von der Wirklichkeit ab.
Problematisch wird es, wenn solche Modelle so gewählt werden, dass die Attraktoren die Historie beschreiben können, eine Garantie für die Zukunft ist das aber immer noch nicht. Es bleibt ein Modell, das gebrochen werden kann weil wesentliche Effekte nicht berücksichtigt worden sind. Nur wenn alle wesentlichen Einflussfaktoren mit berücksichtigt wurden und im Modell mit den richtigen Einflussfaktoren belegt wurden, dann ist das Modell aussagekräftig. Jede Simulation sollte also ersteinmal ehr wie ein Roman als eine Vorhersage betrachtet werden. Genauso könnte man ein Computerspiel spielen, das hat dann auch nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun.
Aus diesem Grund lege ich mein Fokus eben auch explizit auf die Effekte, die einen Einfluss haben könnten. Diese Effekte zu sammeln und so realistisch wie möglich abzuschätzen, daraus kann man aufbauen und versuchen Prognosen zu erstellen. Die Effekte sind deutlich wichtiger als eine einfache Trendfortführung weil jeder Trend neue Effekte oder neue Erkenntnisse vernachlässigt und somit von diesen gebrochen wird.
Du kannst die Fehler des Modells mit dem Fehlerfortpflanzungsgesetz bestimmen und die Grundfehler aus der Varianz der historischen Daten abschätzen.
Und zu diesem Fehler kommt noch der Fehler der Anwendbarkeit des Modells.
Wenn du also die Fehler des Modells abgeschätzt hast, dann bleibt ja die Aussage der Trendlinie: Wenn das so weiter geht, dann geht es so weiter. Den Fehler von: So geht es weiter kannst du mathematisch aus dem historischen Datensatz abschätzen, dazu kommt noch der Fehler der Bedingung: Wenn es so weiter geht. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es so weiter geht? Das kannst du nur abschätzen, wenn du die großen Ereignisse rund um Bitcoin verfolgst und daraus deine Schlüsse ziehst, ob der Trend ehr nach unten geht (immer mehr Staaten verbieten Bitcoin) oder ob der Trend nach oben geht, weil es z.B. zu einer Hyperinflation gekommen ist.
All das zusammen ergibt dann die Gesamtwahrscheinlichkeit bzw. die Höhe der Fehlerbalken, wie gut die Werte des Modells wirklich sind.
Nein, natürlich ist das keine leichte Aufgabe die Fehlerrechnung zu machen und all die Unsicherheiten abzuschätzen. Genau deswegen wird das auch gerne von vielen Menschen weggelassen. Aber das bedeutet eben gleichzeitig, dass die Werte nicht vertrauenswürdig sind bzw. eine Genauigkeit suggerieren, die in den allermeisten Fällen einfach nicht gegeben ist.
Da wären wir im Bereich der Astrologie: Die liegen auch „immer richtig“ nur kann man mit den Aussagen nicht viel Anfangen bzw. alles hinein interpretieren was man selber will. Der Informationsgehalt ist damit nicht wirklich groß.