Kompetenz und Lebenswirklichkeit
Stell dir vllt einmal vor, du lebst in Tirol und bist langjähriger Bergsteiger; dann komm ich als Flachlandtiroler daher, mach 1x/Jahr so einen Kletter-/Bergwanderurlaub und erzähl dir einen davon wie man sich ‚im Berg bewegt‘.
Es geht mir nicht darum, dass diese Finanzheinis irgendwelche mega-Kompetenzen hätten, sondern darum, dass sie daran glauben und Ihre Lebenswirklichkeit ihnen das suggeriert.
Stichwort: ‚track record‘ und ‚Mainstream‘
Wahrscheinlich assoziiert man mit Attributen wie ‚Tiroler‘ oder ‚langjährig‘ in diesem Kontext auch ‚Profi‘- das sagt jedoch überhaupt nichts über die Kompetenzen aus, wohl aber darüber, was wir aus dem Umfeld (Setting) der Einfachheit halber ableiten. Nicht zuletzt beschreibt man Foren auch gern als Echokammern.
Niemand mag es gern, sich in einem Arbeitsgebiet kompetent zu fühlen, um sich anschließend eines Besseren belehren zu lassen. Verstärkend fehlt es dem deutschen Selbstverständnis besonders, zwischen Kompetenz und Autorität einen Unterschied machen zu können. Das ist zwar ein grundlegend menschliches Dilemma, aber ich hab das Gefühl der deutsche Kulturraum tut sich hierbei ganz speziell hervor und ergeht sich nur allzu schnell in Wut-Tiraden oder in herabwürdigende Entmenschlichung, sollte etwas an seinem erhabenen Stuhl sägen. (Corona war ein hervorragendes Versuchslabor dafür…)
Kindergarten
Dass wir ein Problem in unserer Wirtschaft haben, ist offensichtlich; ich verweise da auf den Marshmallow-Vergleich. Uns wurde als kleine Kinder ein etwas erwachsenerer Umgang mit den Dingen in unserer Umgebung beigebracht:
- Hier ist hast du 1 Marshmallow, wenn du ihn 1 Stunde aufbewahren kannst, ohne ihn zu essen, bekommst du danach einen 2.
Während unsere Finanzwirtschaft/Fiskalpolitik uns folgende Spielregel diktiert:
- Hier ist hast du 1 Marshmallow, wenn der in 1 Stunde noch da ist, nehm ich dir die Hälfte weg.
Wen wundert es da noch, dass sich eine Gesellschaft von Erwachsenen kollektiv wie kleine Kinder verhält. Betrachte das Reddit-Forum als Kindergarten oder Schule für schwer Erziehbare, dann wird’s nachvollziehbarer.
Sprache
Die deutsche Sprache lässt sich hervorragend für wissenschaftliche Kontexte und diskursive Dispute nutzen. Nur wenige bringen aber diesem Werkzeug genügend Gelehr- und Aufmerksamkeit entgegen.
Folglich wird ein unsachgemäß genutztes Werkzeug schnell zur Waffe, ob gewollt oder nicht zu handhaben gewusst (siehe Porsche mit 295km/h auf der linken Spur)
Leider bleibt in Web-Foren wie diesen nichts weiter von ihren Mitgliedern übrig als ihre Worte. Und ebenso traurig ist hierbei der inflationäre Einsatz von ‚superlativen‘ Adjektiven, die nur noch das schwarz-weiß-Skizzieren zulassen. (wer kennt es nicht: „die ‚meisten‘ Menschen…“) Dabei beherbergt die deutsche Sprache eine Vielzahl detailgetreuer Adjektiv-Attribute, die einen Sachverhalt hervorragend graduell skalieren und klassifizieren können. Dafür benötigt man jedoch das resourcenzehrende Denken „System 2“ im Einsatz, das die althergebrachten Plattitüden und Volksweisheiten einmal zur Seite schiebt und Dinge neu denken lässt. Stichwort: ‚das war schon immer so‘ (track record eben - …hier wäre ‚immer‘ der eingesetzte Superlativ…)
Empfehlung :
-
Multi-hop Argumentationen unterbinden: meistens werden halbseidene Vorbehalte vorgebracht, die irgendwo aufgeschnappt worden sind. Hintergründe und Quelle sind unbekannt; fragt man danach, springt der Gegenüber zum nächsten Argument - zurückholen(!) und fragen, ob dieses Argument verworfen wurde und damit irrelevant wird. Alles andere suggerierte latente Zustimmung.
-
auf Sachebene beharren: unterstreicht unsachliche Unterstellungen und Abwertungskommentare, die keinen sittlichen Nährwert besitzen.
-
Die verschiedenen Typen der Schein-Argumentation kennen und benennen können. Menschen wirken oft sachlich, steuern aber nicht wirklich viel zur Sache bei. Die 3 Klassiker:
Argumentum ad Populum, Argumentum ad Auctoritatem, Argumentum ad nauseam, etc.
Mein persönlicher Liebling ‚der Zirkelschluss‘ : Circulus in demonstrando. Die Strategie, DAS als gegeben vorauszusetzen und darauf aufzubauen, was es noch zu beweisen gilt; oder schlimmer: der Beweis leitet sich aus seiner eigenen Schlussfolgerung ab.
quod erat demonstrandum = was zu beweisen war (das wurde in der Schule beigebracht)
quod esset demonstrandum = was zu beweisen wäre (das wird praktiziert; auch bekannt als ‚Merkeln‘ )
Ich kann also dein Gefühl, ein Geisterfahrer zu sein, sehr gut nachempfinden - von morgens bis abends…