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2. Game Theory und systemische Risiken
2. Game Theory und systemische Risiken
Bitcoin als monetärer Schelling-Punkt: In der Spieltheorie bezeichnet ein Schelling-Punkt eine Lösungsoption, die Akteure ohne Absprache aufgrund ihrer natürlichen Fokalität wählen. Bezogen auf Geld bedeutet das: Gibt es ein Tauschmittel, das sich durch besondere Eigenschaften und Bekanntheit abhebt, werden rationale Akteure tendenziell dieses wählen, da sie erwarten, dass auch andere es bevorzugen. Bitcoin besitzt durch seine Pionierrolle und Eigenschaften gute Chancen, ein solcher Schelling-Punkt für hartes Geld zu sein. Seine Knappheit (21 Mio.) ist prominent und unveränderlich, was eine koordinierende Wirkung entfaltet – „21 Millionen“ ist praktisch zum Meme geworden. In der Krypto-Industrie gilt Bitcoins feste Geldmenge als fokaler Punkt, auf den sich alle einigen, obwohl sie arbiträr gewählt scheint. Auch in Abgrenzung zu tausenden Altcoins fungiert Bitcoin als Schelling-Punkt: Trotz zahlloser Versuche, alternative Kryptowährungen zu etablieren, hat keine es geschafft, Bitcoin den Rang als vertrauenswürdigstes dezentrales Geld streitig zu machen. Nach über 14 Jahren ist Bitcoin immer noch unangefochten – es hat schlicht keine ernstzunehmende Konkurrenz hervorgebracht (On Schelling points, network effects and Lindy: Inherent properties of communication | by Willem Van Den Bergh | Medium). Damit erfüllt Bitcoin ein wesentliches Kriterium eines Schelling-Punkts: Es wirkt für die meisten Beteiligten „natürlich und besonders“ als Lösung des Koordinationsspiels, welches Währung genutzt werden soll. Sollte die weltweite Nachfrage nach einem apolitischen, inflationssicheren Wertaufbewahrungsmittel weiter steigen (was angesichts globaler Verschuldung und Vertrauensverlust in Zentralbanken naheliegt), bietet Bitcoin sich als focal point an – „There is no second best“, wie Michael Saylor pointiert formulierte. Allerdings ist die Schelling-These nicht unumstößlich: Sie beruht darauf, dass keine andere Option auftaucht, die eine ähnliche Fokalität erreicht. Gold etwa ist historisch ebenfalls ein Schelling-Punkt (für hartes Geld über Jahrtausende). Die spannende Frage ist, ob Bitcoin Golds Koordinationsstellung beerbt (digitale Knappheit statt physischer Knappheit). Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass der Transfer der monetären Fokalität von Gold zu Bitcoin bereits läuft (“Software is eating the world”: Is Bitcoin stealing Gold’s crown? | ETC Group). So halten z.B. immer mehr institutionelle Investoren Bitcoin in ihren Reserven, während Goldbestände stagnieren oder abgebaut werden. Sollte dieser Trend anhalten, verfestigt sich Bitcoins Status als gemeinsamer Nenner für werthaltiges Geld.
Koordinationsprobleme auf dem Weg zum „Bitcoin-Standard“: Trotz seiner Vorteile ist nicht garantiert, dass Bitcoin sich ohne Reibungsverluste global durchsetzt. Ein massives Koordinationsproblem liegt im bereits erwähnten Lock-in des existierenden Systems: Fiat ist überall etabliert, der überwiegende Teil aller Verträge, Preise und Sparguthaben ist in staatlichen Währungen denominiert. Die Kosten einer Rekoordination sind hoch – ganze Infrastrukturen (Zahlungssysteme, Buchhaltung, Steuersysteme) hängen am bisherigen Geldstandard (Further Thoughts on Bitcoins, Fiat Moneys, and Network Effects | Uneasy Money) (Further Thoughts on Bitcoins, Fiat Moneys, and Network Effects | Uneasy Money). Selbst wenn Fiat-Money fundamental schwach ist, kann es durch diese Netzwerkeffekte lange Zeit überleben. Ökonomen vergleichen das mit einem technischen Standard, der suboptimal, aber weit verbreitet ist (wie z.B. das QWERTZ-Tastaturlayout): Die individuellen Umstiegskosten verhindern, dass ein besserer Standard übernommen wird, solange der Status quo „gut genug“ erscheint (Further Thoughts on Bitcoins, Fiat Moneys, and Network Effects | Uneasy Money). Übertragen heißt das: Solange nationale Währungen ihren Zweck im Tagesgeschäft erfüllen und keine akute Hyperinflation herrscht, könnten viele Menschen an ihnen festhalten – selbst wenn sie anerkennen, dass Bitcoin langfristig überlegen wäre. Dieses Coordination Failure-Szenario ist theoretisch möglich: Es erfordert, dass genügend Wirtschaftssubjekte den Wechsel nicht wagen, aus Sorge, zu früh oder alleine zu sein. Ein weiteres Koordinationsproblem betrifft die globale Ebene: Länder könnten zögerlich sein, ihre geldpolitische Souveränität aufzugeben. In einem „Bitcoin-World-Standard“ gäbe es keine unabhängige nationale Geldpolitik mehr; das ist für Staaten zunächst unattraktiv. Jedes Land hat Anreize, andere Länder zunächst den Schritt machen zu lassen, um selbst nicht die Kontrolle zu verlieren – ein klassisches Spieltheorie-Dilemma (ähnlich dem Gefangenen- oder Koordinationsspiel), bei dem alle von einer gemeinsamen harten Währung langfristig profitieren könnten, aber kurzfristig Anreize zur Abweichung haben. Dieses Lösungskonzept könnte jedoch durch die Realität gelöst werden: Sollte ein Land durch frühzeitige Bitcoin-Adoption deutlich ökonomische Vorteile erzielen (z.B. Kapitalzufluss, technologiegetriebene Produktivität), entsteht Druck auf andere, nachzuziehen. Es entsteht eine Dynamik wie beim Wettrüsten – ein Spiel auf Zeit, wer den monetären Vorteil zuerst nutzt. Insgesamt bleibt: Der Übergang zum Bitcoin-Standard ist kein rein technisches oder ökonomisches Problem, sondern ein komplexes Koordinationsspiel, das sowohl Individuen wie auch Staaten betrifft. Scheitern könnte er, wenn entweder zu viele Individuen oder zu viele Staaten nicht mitspielen. Erfolgen wird er, wenn ein kritischer Kipppunkt überschritten wird – dann dürfte die Umstellung durch Netzwerkeffekte rapide voranschreiten (”Gradually, then suddenly”).
Stabilität des Mining-Games und langfristige Anreize: Bitcoin erreicht seine Sicherheit und Integrität durch das Proof-of-Work-Mining, das dezentrale Miner mit ökonomischen Anreizen koordiniert. Langfristig stellt sich die Frage, ob dieses Spiel stabil bleibt – insbesondere, wenn die Blocksubvention (der neu erzeugte Bitcoin-Anteil der Miner-Erlöse) immer kleiner wird und schließlich gegen Null geht. Satoshi Nakamotos ursprüngliches Design sieht vor, dass auf lange Sicht die Transaktionsgebühren die gesamten Miner-Einnahmen tragen müssen. Dieses Konzept eines entstehenden Fee-Markts wurde früh antizipiert (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Die zentrale Unsicherheit: Werden Nutzer in Zukunft genug Gebühren zahlen, um ein Sicherheitsniveau aufrechtzuerhalten, das Angriffe (z.B. 51%-Attacken) unattraktiv macht? Skeptiker verweisen darauf, dass die Fee-Erlöse in den letzten Jahren relativ gering waren und (abgesehen von kurzzeitigen Spitzen durch Hype oder spezielle Nutzungen wie Ordinals-Inskriptionen) sogar rückläufig erschienen (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Wenn Miner künftig deutlich weniger Einnahmen haben, könnten sie abwandern (Hashrate-Rückgang) und das Netzwerk anfälliger für Angriffe werden. Ein analoges Beispiel wäre, seine Armee nicht mehr zu bezahlen – irgendwann bleiben die Soldaten (Miner) fern (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Staatliche oder private Angreifer könnten dies ausnutzen und mit vergleichsweise geringem Aufwand Blocks zensieren oder die Kontrolle übernehmen. Optimisten wie die Analystin Lyn Alden halten dagegen, dass sich der Markt dynamisch anpassen wird (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks) (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Steigt die Wirtschaftskraft, die über Bitcoin abgewickelt wird, so steigt auch die Zahlungsbereitschaft für sichere Settlement-Transaktionen. Selbst wenn nur 5% der Weltbevölkerung in 20 Jahren Bitcoin-Transaktionen direkt on-chain durchführen, könnte bei entsprechendem Wertvolumen eine Gebühr von z.B. $30 pro Transaktion ökonomisch tragbar sein – was in Summe Milliarden Dollar jährlicher Miner-Einnahmen bedeuten würde (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Diese Größenordnung wäre ausreichend, um Angreifern die notwendigen Ressourcen sehr teuer zu machen (Will Fees Alone Keep the Bitcoin Network Secure in the Long Term? - Blockworks). Zudem darf man das zweistufige Sicherheitsmodell nicht vergessen: Selbst wenn die Hashrate etwas sinkt, bedeutet das nicht automatisch eine Katastrophe – Angreifer brauchen nach wie vor enorme Investitionen (ASIC-Hardware, Energie), um einen nennenswerten Angriff zu führen. Das Mining-Spiel dürfte also solange stabil bleiben, wie Bitcoin als Ganzes wächst. Systemrisiken könnten jedoch auftreten, falls das Wachstum stagniert oder ein externer Schock die Nutzung einschränkt.
Ein weiteres Risiko im Mining-Game ist die Geografie und Zentralisierung der Hashrate. Bitcoin hat bereits bewiesen, dass es plötzliche staatliche Eingriffe überleben kann – das Verbot des Minings in China 2021 führte zwar kurzfristig zu einem 50%-Einbruch der globalen Hashrate, doch binnen weniger Monate verteilten die Miner ihre Hardware in andere Länder (USA, Russland, Kasachstan, Kanada u.a.) und die Netzleistung erreichte neue Höchststände (Examining The Lindy Effect And Bitcoin) (Examining The Lindy Effect And Bitcoin). Dieser Vorfall zeigte die Mobilität des Mining-Ökosystems und auch einen gewissen Anti-Fragilitätseffekt: Das Netzwerk wurde danach geografisch diversifizierter und somit resilienter gegenüber einzelnen Regierungen (Examining The Lindy Effect And Bitcoin). Allerdings ist die Gefahr einer (Re-)Zentralisierung nicht gebannt. Sollte ein zu großer Teil der Hashrate in jurisdiktioneller Reichweite einer Handvoll Staaten liegen, könnten diese theoretisch Mining-Pools regulieren oder beeinflussen (z.B. Transaktionszensur erzwingen, bestimmte Adressen blockieren). Bisher bleibt Bitcoin hier robust, weil die ökonomischen Anreize für Miner gegen Zensur sprechen – ein Miner, der „saubere“ Blöcke verweigert, verzichtet auf Einnahmen, was andere Miner sofort nutzen würden. Dennoch ist staatlicher Einfluss ein Risiko: Man denke an Szenarien, in denen Regierungen selbst massive Mining-Kapazitäten aufbauen (um kontrollierend einzugreifen) oder Miner durch Steuern/Subventionen lenken. Die Spieltheorie innerhalb des Mining-Ökosystems ist komplex: Alle Teilnehmer wollen Profit machen, was sie tendenziell ehrlich agieren lässt. Aber wenn externe Akteure (Staaten) mit anderen Motiven auftreten, verschiebt sich das Payoff. Langfristig könnte man argumentieren, dass selbst staatliche Akteure wirtschaftlich besser fahren, wenn sie Bitcoin schützen statt attackieren – insbesondere wenn sie selbst Bitcoin-Reserven halten. Insofern könnte das Mining-Game einen stabilen Equilibrium finden, bei dem sogar Staaten als Miner of last resort fungieren, um die Sicherheit zu gewährleisten (dies wird von einigen Bitcoin-Theoretikern als mögliches Endspiel gesehen). Zusammengefasst: Langzeitstabilität des Mining ist kein garantiertes Selbstläufer-Thema, doch es gibt plausible Mechanismen (Gebührenmarkt, Hashrate-Mobilität, staatliche Alignment), die das System im Gleichgewicht halten können. Ein unkalkulierbares Restrisiko bleibt allerdings, falls die ökonomischen Anreize aus dem Ruder laufen – dies wäre ein Failure Mode, in dem Bitcoin trotz monetärer Überlegenheit an internen Anreizproblemen scheitert.